Lewe, Marwin, wie fing eure Trainerkarriere an?
Lewe Timm: Bei mir war es keine bewusste Entscheidung, dass ich Trainer werden möchte, sondern ein Prozess. Meine erste Mannschaft habe ich beim SC Nienstedten mit 24, 25 übernommen, später kamen immer weitere Teams dazu. Ich bin drangeblieben und habe gemerkt, dass mir das Traineramt liegt. Nach und nach habe ich die Trainerlizenzen absolviert und den Wunsch nach mehr verspürt. Später wurde ich DFB-Stützpunkttrainer und habe so Kontakt zu vielen Top-Talenten und Nachwuchsleistungszentren gehabt. In meiner Funktion als Auswahltrainer des Hamburger Fußball-Verbandes habe ich dann zum ersten Mal Marwin getroffen.
Marwin Bolz: In der U16 war tatsächlich Lewe mein Auswahl-Trainer und meinte, dass ich mal Trainer werden würde. Er war eine absolute Schlüsselfigur dafür, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe. Als ich 2017 beim TSV Sasel gespielt habe, meinte jemand vom Verein, dass ein Trainer für die U12 gesucht wird, und hat sich bewusst neben sich gestellt. Als sich niemand gemeldet hat, habe ich gesagt, dass ich das machen möchte. Ich war extrem motiviert und habe direkt dafür gebrannt. Relativ schnell habe ich ein Mädchenteam des Hamburger Fußball-Verbandes als Co-Trainer übernommen und auch erste Erfolge gefeiert, in der Halle sind wir zum Beispiel norddeutscher Meister geworden.
Lewe, was hast du damals in Marwin gesehen?
Timm: Er hat immer überperformt. Von seiner Technik gehörte er vielleicht nicht zu den Top-Talenten, aber es war nie eine schlechte Entscheidung, Marwin spielen zu lassen – im Gegenteil: Er hat stets abgeliefert. Marwin war schon damals in der Lage, Strategien zu entwickeln, um erfolgreich zu sein. Auch gegen deutlich talentiertere Spieler sah er gut aus, weil er im Kopf sehr weit war und analytisch gedacht hat.
In den Folgejahren habt ihr weitere Erfahrungen gesammelt, bis ihr im Sommer 2021 als Trainerduo beim HSV gelandet seid. Wie kam es dazu?
Bolz: Wir haben den Kontakt nie abgebrochen. Ich habe viele Entscheidungen in meinem Leben mit Lewe besprochen und nach seiner Meinung gefragt – sei es bei Vereinswechseln oder der Wahl meines Studienfachs. Als mich Lewe angerufen hat und vom Projekt beim HSV erzählt hat, musste ich nicht lange zögern.
Timm: Während meiner Laufbahn bin ich vielen Personen begegnet, aber nur zu wenigen solch ein Verhältnis wie zu Marwin gehabt. Als ich das Angebot vom HSV bekommen habe, war mir sofort klar, dass ich ihn dabei haben möchte.
Nachdem ihr zuvor nur um Trainer-Spieler-Verhältnis zusammengearbeitet hattet, agiert ihr beim HSV erstmals als Trainer zusammen. Habt ihr dafür anfangs eine Eingewöhnungsphase benötigt?
Timm: Die Zusammenarbeit lief von Beginn an besser, als ich ohnehin gedacht hätte. Ich wusste, dass Marwin schon weit ist – aber nicht, dass er so weit ist. Mit ihm zu arbeiten, war und ist sehr inspirierend.
Bolz: Auch wenn wir teilweise sehr kontrovers diskutieren, sehen wir den Fußball sehr ähnlich. Lewe hat mal gesagt, dass sich unsere zwei Köpfe ein Gehirn teilen – ich meinte, dass mir zwei Gehirne schon lieber wären. (lacht) Das zeigt aber ganz gut, wie es von Beginn an lief.
Wie definiert ihr eure Rollen als Chef- und Co-Trainer?
Timm: Im Fokus der Öffentlichkeit steht immer der Cheftrainer. Die tatsächliche Arbeit leistet aber das gesamte Team hinter dem Team. Nicht umsonst arbeiten viele Trainer mit ihren Co-Trainern auch nach Vereinswechseln jahrzehntelang zusammen, weil man diese symbiotische Verbindung braucht, um gut arbeiten und sich auf den anderen verlassen zu können. In der Zusammenarbeit mit Marwin passen wir oft Nuancen an. Zuvor war ich es gewohnt, alleine auf dem Platz zu stehen. Mittlerweile trete ich auf dem Platz zurück, gebe Marwin mehr Raum und kümmere mich um die Feinjustierung. Ich lerne extrem viel von Marwin, weil er mir in vielen Aspekten auch eine andere Sichtweise näherbringt.
Bolz: Durch meine parallele Tätigkeit als Trainer unserer U17-Juniorinnen habe ich einen guten Vergleich: Während ich dort für das gesamte Trainerteam verantwortlich bin, gibt mir Lewe bei den HSV-Frauen die Möglichkeit, mich in meinem Bereich zu entfalten.
Was könnt ihr vom jeweils anderen mitnehmen?
Bolz: Ich muss noch mehr lernen, Emotionalität auf dem Platz zu zeigen. Lewe ist ein gutes Beispiel, an dem ich mich orientieren kann: Ich kenne keinen lauteren, aber gleichzeitig auch fröhlicheren Menschen als ihn. Ich bezeichne Lewe gerne auch als Jürgen Klopp mit Emotionskontrolle. (lacht)
Timm: Marwin schafft es, mit seinem ruhigen und analytischen Blick auf feinste Details zu achten. Im Zusammenspiel hilft es total, wenn er die Emotionen rausnimmt und Dinge mit seiner Klarheit auf den Punkt bringt. Davon profitiere ich enorm.
Welche Ziele treiben euch an?
Bolz: Kurzfristig gesehen ist es in diesem Jahr der Aufstieg mit den HSV-Frauen, wir investieren sehr viel dafür. Dazu wollen wir die Strukturen im Verein nutzen, um auch weitere Nachwuchsspielerinnen in den Frauenfußball heranzuführen. Langfristig gesehen möchte ich, dass Spielerinnen und Spieler, mit denen ich arbeite oder gearbeitet habe, etwas von mir mitnehmen.
Timm: Ich habe mich über die Weihnachtstage 2022 mit einer Spielerin getroffen, die ich vor zehn Jahren trainiert habe. Sie kam aus sozial schwächeren Verhältnissen und arbeitet mittlerweile als Juristin. Sie hat sich sehr herzlich dafür bedankt, was wir ihr damals mitgegeben haben. Das sind für mich die wahren Erfolge.